Für jedes Wehwehchen gibt es ein Rasseli-Kraut aus Le Prese.

raselli
Grün und bunt schimmern die Felder in Le Prese gleich beim Lago di Poschiavo. Orange leuchtet die Ringelblume, sonnengelb die Goldrute, himmelblau und rosarot die Kornblume. Edelweiss, Frauenmantel, Spitzwegerich, Minze, Salbei, Oregano, Liebstöckel: für jedes Kraut ein eigenes Feld, für jedes Zipperlein ein Raselli-Kraut… In jeder Saison pflanzt Kräuterkönig Reto Raselli wenigstens 400`000 Setzlinge.

Vor über 30 Jahren säte er ein Samenkorn. Jetzt wachsen auf den Feldern des Bio-Bauern tonnenweise Kräuter und Blumen, die er sorgfältig zu qualitativ hochstehenden Tees und Gewürzen weiter verarbeitet. In guten Jahren produziert er an die 40 Tonnen. Das sind gegen zehn Prozent der gesamtschweizerischen Kräuterproduktion. Viele dieser Kräuter stecken in den Ricola-Bonbons. «Ohne Ricola gäbe es uns nicht». Unter den Schweizer Kräuterbauern ist Reto Raselli der grösste Produzent. Er ist überdies der Einzige, der alles selbst macht: anbauen, trocknen, verarbeiten, abpacken, verkaufen. Und er ist heute der wohl bekannteste Kräuterbauer der ganzen Schweiz. «Raselli? Das ist doch der Kräuterkönig aus dem Puschlav», sagen die Leute.

Er war immer schon der «Grüne» im Tal, einer den man früher belächelte und einer, dem man auch einmal «wüst» sagte, weil er so abstruse Ideen hatte wie die, in der Val Poschiavo in Le Prese auf 978 Metern Höhe biologische Kräuter anzubauen, sie zu trocknen und sie zu Tee und Küchengewürzen zu verarbeiten. Irgendwann fand der «grüne Bauer» aber dann wohl sogar das richtige Kräutlein, um zumindest einige seiner Kritiker zu besänftigen. Denn viele, die Reto Raselli einst als «grüner Spinner» bezeichneten, nennen ihn heute respektvoll ihren «Kräuterkönig». Irgendwie freut ihn das. «Aber wichtig ist es nicht…». 

Reto Raselli gilt als der Pionier des Kräuteranbaus in der Val Poschiavo. Mit 28 Jahren, als der gelernte Mechaniker und spätere Bio-Landwirt schon seinen eigenen kleinen Hof mit Kühen und Hühnern bewirtschaftete, war er von der von Heimweh-Puschlavern an ihn herangetragenen Idee, im Tal doch Bio-Kräuter anzubauen, dermassen angetan, dass er Mitstreiter suchte und dann zusammen mit einem Dutzend anderer Landwirte 1983 die Genossenschaft «Coperme» (Coperativa produttori erbe medicinali») gründete. Er wurde dann gleich auch noch dessen Präsident. Und ist es immer noch.

Mittlerweile also sind über 30 Jahre ins Land gezogen. Rasellis volles Haar ist heute von ein paar grauen Strähnen durchzogen, das wettergegerbte Gesicht hat ein paar zusätzliche Lachfalten. Doch sonst arbeitet der Puschlaver Biobauer mit so viel Freude wie am ersten Tag. «Nur was man mit Freude macht, hat Zukunft». Im Geist ist er der grüne Rebell geblieben, der er schon immer war, ist zwar etwas gelassener, aber nach wie vor einer, der weiterhin hartnäckig seinen Weg verfolgt, einer, der sagt, was er denkt und damit durchaus immer einmal wieder aneckt. «Aber wir wissen genau, dass wir in die richtige Richtung gehen, auch wenn die Politik uns Bio-Bauern nicht immer so ernst nimmt. Natürlich sind wir im ganzen Weltgeschehen gesehen unbedeutend. Und doch zeigt uns die Welt tagtäglich, dass es gut und wichtig ist, dass wir zu unserer Erde und zu uns Sorge tragen. Industrienahrung macht uns auf Dauer krank. Wir müssen langfristig denken. Was wir tun: Wir zeigen im Kleinen, wie man es gut machen kann. Am Ende aber entscheidet der Konsument, was ihm wichtig ist».

Reto Raselli lebt was er denkt. Und er krempelt die Hemdsärmel immer noch hoch. «Denn Unkräuter», weiss er, «sind im biologischen Kräuteranbau neben der Klimaveränderung und vielen Schlechtwettertagen unser grösster Feind». Entsprechend viel Handarbeit steckt immer noch in der Pflege von Rasellis Kräuterfeldern, auf denen er immer wieder auch neue Kräuter anpflanzt, um ganz neue Kräuterteemischungen zu kreieren. «Und jetzt bauen wir noch Beeren an. Dann gibt’s bald Raselli Früchtetee»…