Produkt Kulinarisches Erbe
Bündner Röteli
Charakteristika
Dieser Likör ist mit dem Innerschweizer Rosoli verwandt, den man auch, aber nicht nur, mit schwarzen und ausserdem frischen und nicht gedörrten Kirschen produziert.
In einem Tank überlässt man gedörrte Kirschen, eine Gewürzmischung mit Zimt, Nelken und Vanille sowie geschmacksneutralen Alkohol von 40 Volumenprozent, der Mazeration. Ab und zu wird die Mischung gerührt, sie verfärbt sich mit der Zeit dunkler. Die Kirschen werden nicht entsteint, denn der Stein trägt zum typischen Aroma bei (Bittermandelnote). Nach gut fünf Monaten ziemt man den Saft ab, sodass die Kirschen zurückbleiben. Den Saft, der etwa 37 Volumenprozent Alkohol enthält, verdünnt man mit Kirschensaft, bis der Röteli etwa 22 Volumenprozent stark ist. Nachher kann man ihn filtrieren und abfüllen.
Der Name «Röteli» kommt von der rötlichen Farbe und der Likör ist jahrelang haltbar. Da er vor allem am Jahresende eine Rolle spielt, muss man ihn spätestens im Sommer ansetzen.
Kultur und Geschichte
«Ein schön Kochbuch 1559» mit 515 Rezepten aus der bischöflichen Küche von Chur bietet kein Röteli-Rezept, aber diverse Gewürzweine, ein Zimtwasser mit Branntwein sowie Weichselwein – aus drei Rezepten liesse sich ein Likör mixen, der dem Röteli nahe kommt. Überhaupt stand den Köchen in dieser Küche im 16. Jahrhundert eine beeindruckende Auswahl an Gewürzen zu Verfügung. Im Rezept Nr. 150 zu «Zitwen win Und allerlei gewürtzte win» werden aufgelistet: Zimt, Zitwerwurzel (Curcuma), Nelken, Ingwer, Galgant, Paradieskörner (Guinea-Pfeffer), langer Pfeffer, Kubebenpfeffer, Kardamom, Muskatblust. Rezept Nr. 172 «Wiegslen win» (Weichselwein) kommt dem Röteli sehr nahe, wenn auch mit altem Rotwein statt Schnaps und ohne Vanille.
Im Band 6 des schweizerischen Idiotikons von 1909 wird der Röteli als Likör von roter Farbe beschrieben, hergestellt aus Branntwein, Wasser, Zucker, Kirschen und Gewürzen. Angenommen wird, dass die Röteli-Herstellung seit dem 18. Jahrhundert bekannt war.
«Das Kochbuch aus Graubünden» von Maggie Poltéra (1979) enthält ein Rezept mit Branntwein, Dörrkirschen, Vanille, Zimt, Zitronenschale, Zucker und Wasser. Poltéra: «Dieser Likör wird aus den kleinen, aber aromareichen Bergkirschen hergestellt und wird gerne zum schwarzen Kaffee am Sonntagnachmittag oder abends als verdauungsförderndes Schlückchen genossen.»
Gedörrte Früchte gehörten früher zum Standard-Wintervorrat – und Schnaps brannte jeder Bauer, allein schon deshalb, um eine Hausmedizin in Griffnähe zu haben.
Traditionell wurde Röteli bei gewissen Bräuchen getrunken. So zum Beispiel am Silvesterabend, als die verheirateten Männer das alte Jahr ausläuteten und die jungen das neue einläuteten. Nachher zogen die jungen Burschen von Hof zu Hof, erhielten Gebäck und Röteli und wenn möglich die Aufmerksamkeit lediger Töchter. Je länger die Reise dauerte, desto wiederholter der Röteligenuss – sodass die Frauen in den weiter entfernten Höfen immer schöner wurden.
Vorkommen und Verbreitung
- Bündner Rheintal
- Viamala
- Mesolcina
- Calanca
- Surselva
- Mittelbünden
- Davos
- Prättigau
Ursprünglich in tieferen Regionen, wo reichlich Kirschbäume gedeihen. Heute ist der Röteli in Graubünden auf der Alpennordseite verbreitet, vornehmlich in der Gastronomie, aber auch in Läden vom Supermarkt bis Souvenirshop. In Regionen ausserhalb Graubündens ist er ein beliebtes Wohlfühlelixier von Heimwehbündnern.
Röteli heisst auf Rätoromanisch «rosoli (grischun)». Rosoli ist in der Zentralschweiz, insbesondere im Kanton Schwyz und der Region Einsieden, ein Likör, der ähnlich zubereitet wird wie Röteli, aber einen anderen Hintergrund hat. Der Name kommt von «rosoglio, rosolio, rossolis», einem italienischen Likör, der auf der insektenfressenden Pflanze Ros Solis beruht, dem Sonnentau. Innerschweizer Viehhändler oder Bauern, die ihre Rinder nach Oberitalien lieferten, sollen am Getränk Gefallen gefunden und es als Geschenk oder auch für sich selber nach Hause gebracht haben (vgl. Kulinarisches Erbe der Schweiz, «Rosoli»).
Verwendung
Während des ganzen Jahres erhältlich, unter Traditionalisten eher im Winter geschätzt. Wird gerne Gästen angeboten. Die kräftige Würzung prädestiniert den Likör zur Aromatisierung von Desserts wie auch als Shot in Drinks. Röteli gibt es in Flaschen von zwei bis hundert Zentilitern und sogar in Boxen, die zehn Liter fassen und vor allem für Skihütten vorgesehen sind.